Predigt vom 04.12.1988 - Pastor Schnabel - Jesaja 35, 3-10
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!
Liebe Gemeinde!
Zwei Jahre lang haben wir es nun immer so gehabt, dass die Kinderpredigt das gleiche Bibelwort zum Grunde hatte, wie die Erwachsenenpredigt. Ihr habt gehört, dass wir nun bis Himmelfahrt an den einzelnen Geschichten des Kirchenjahres entlanggehen wollen. Und deshalb wird die Kinderpredigt nun nicht mit der Predigt den gemeinsamen Text haben können. Darum muss die Erwachsenenpredigt manchmal auch wieder etwas weiter ausholen, denn die Kinderpredigt hat uns ja oft ins Bild gesetzt und wir konnten dann gleich zu dem kommen, was "Christum treibet".
Wir hören heute ein Wort vom Propheten Jesaja. Da erfahren wir, dass der menschliche Möglichkeitssinn immer wieder gesprengt wird. Da lernen wir, dass, wenn Gott kommt, Dinge möglich werden, die wir von uns aus nicht für möglich halten. Das ist ja der Grund, dass wir in unserer Sprache ein Wort haben, das das "Wunder" bezeichnet. Es ist ein Wort an alle mit müden Händen, die nichts mehr tun wollen, weil alles sinnlos erscheint. Ein Wort an alle, die wankende Knie haben, wie Jesaja sagt, die dem Druck des Lebens nicht mehr standhalten können, die nicht wissen, wie sie alles noch ertragen sollen. Ein Wort an alle mit verzagtem Herzen, die mitten unter vielen Menschen einsam sind, die der Liebe nicht mehr trauen; der eigenen Liebe nicht, der Liebe der anderen auch nicht. Ein Wort an alle, die vom Leben nichts mehr erwarten, die nach dem, was menschenmöglich ist, nur noch vor sich hin klappern bis sie sterben. So schreibt Jesaja, der Prophet:
"Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.« Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es - zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Schilf stehen. Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. Es wird kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.
Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen."
Gott segne an uns dieses Wort!
Von dieser Verheißung weiß Jesaja selbst ja auch nicht, wie sie erfüllt werden soll. Aber er sagt diese unmöglichen Sachen trotzdem, Gott hat es ihm aufgetragen, und wie es dann gehen soll, das ist Gottes Sache. Der Prophet hat es erst einmal auszusprechen.
Menschen, die nichts mehr sehen, die nichts mehr hören, die nichts mehr sagen wollen, die sind wie gelähmt; sie ziehen durch’s Tal der Dürre, nichts geht mehr. Gefangen und verstrickt fristen sie ihr Dasein. Sie sind umgeben von Ängsten und von Sachzwängen.
Ich merke an meiner Sprache selbst immer wieder, wie vielfältig und genau wir diesen Zustand beschreiben können, weil er uns viel näher liegt. Und wie wir in unserer Sprache anfangen zu stocken, wenn wir von dem Heil, von dem guten, erfüllten Leben reden wollen. Sie sollen auftauen, sie sollen wieder sehen und hören, sie sollen singen und sagen, erlöst sein, nach Zion gehen mit Jauchzen und mit Freuden. Nach Zion; sie haben wieder ein Ziel! Schmerzen und Seufzer werden fliehen.
Nach menschlichem Ermessen ist das alles unmöglich. Die historische Situation, die hier dazugehört ist, dass die Israeliten aus dem Südreich in Babylon in der Gefangenschaft sind, wie Heimatvertriebene, die keine Hoffnung haben, dass sie je wieder in ihre Heimat kommen.
Von Gott her ist alles möglich. Wer glaubt, hält es für möglich. Und die Bibel erinnert uns immer wieder daran, nur nicht zu verzagen und nur nicht einzuschlafen, weil wir auf unsere Möglichkeiten gucken. Unser Möglichkeitssinn wird im Glauben immer wieder geweckt. Dass wir uns nur nicht anmaßen, das Maß der Dinge zu sein. Unsere Möglichkeiten reichen nicht weit. Wir sehen auch nicht alle Möglichkeiten, die uns umgeben. Schon was in dieser Welt im Gange ist, übersteigt ja unsere Möglichkeiten.
Das, was wir wissen über die Geschichte dieser alten Erde:
Vor hundert Millionen Jahren - aber schon diese Zahl ist unvorstellbar für einen Menschen, der, wenn es hochkommt, 90 Jahre alt wird - vor hundert Millionen Jahren entstehen gerade die ersten Säugetiere. Hier, wo wir jetzt sind, wo unsere Kapelle steht, da war einmal ein feuchter, tropischer Urwald. Es gab damals noch keine Menschen. Es gab Dinosaurier, Flugsaurier, Drachen, die heute nur noch im Märchen vorkommen, Knochenfische, Farne und Palmen in höheren Lagen. Hier war ein heißes Klima. An den Versteinerungen, die man findet, kann man das ablesen. Vor hundert Millionen Jahren gab es noch keine Menschen. Und hätte es sie gegeben und ein Bote Gottes hätte gesagt: In hundert Millionen Jahren wird hier ein Land sein, die Lüneburger Heide mit Salz und Sand, den man fruchtbar machen kann, es wird da ein Ort sein, da wird es Menschen geben, Geschöpfe Gottes, die mehr als nur Urlaute herausstoßen können, sondern die ein Sprache haben und eine Seele, die Herz und Verstand haben; das hätte auch vor einer Million Jahren noch keiner gedacht, nach menschlichem Ermessen für unmöglich gehalten.
Noch vor 60.000 Jahren hätte keiner glauben können, dass aus diesen wilden Neanderthalern, die immerhin ja schon Werkzeuge aus Stein und Knochen hatten, dass daraus nach Gottes Willen Menschen werden.
Und nun ist es noch keine 2000 Jahre her, da Christus geboren wurde; der neue Mensch, der Erste, der so war, wie Gott Menschen haben will. Gott, der Schöpfer Himmels und der Erden, der über Jahrmillionen wirkt, der uns den EINEN in unsere irdische Begrenzung schickt, in dem wir erkennen, was Gott mit seiner Schöpfung vorhat.
Und nun ist es gerade 100 Jahre her, da der Sklavenhandel offiziell verboten wurde. Auf Betreiben von Menschen, die sich auf Christus berufen haben und betont haben, dass alle Menschen Kinder Gottes sind; gleich wert vor Gott.
Die Menschheitsgeschichte ist etwas Unheimliches, das uns Menschen weit überragt. Und wer etwas davon weiß, der weiß eben, dass unser menschliches Planen zwar wichtig ist, aber eben nicht weit reicht. Wir hätten ja auch vor zehn Jahren unsere heutigen Probleme so genau nicht vorhersehen können. Und wer kann heute sagen, was in zehn Jahren sein wird?
Wir bewegen uns immer in Wahrscheinlichkeiten. Wahrscheinlich ist der Untergang, wenn wir so weitermachen.
Wer das bedenkt, der wird bescheiden, was die menschlichen Möglichkeiten anbelangt, und der wird erst wieder hoffen, wenn er Gott vertraut.
Wer das bedenkt, der kommt an Gott nicht vorbei. Wie die Bibel sagt: Tausend Jahre sind vor dir, Gott, wie ein Tag, wie eine Nachtwache, die gestern vergangen ist.
Gott, der alles geschaffen hat, hat viel mehr Möglichkeiten. Und ER hat auch noch mehr mit uns Menschen vor, als wir uns selbst zutrauen.
Das will uns ja Christus sagen, dass die Schöpfung noch nicht zuende ist, dass wir uns alle noch einmal wundern werden. Aus harten Herzen werden noch einmal Blumen der Liebe wachsen; und traurige, versteinerte Gesichter werden gelöst und frei lachen. Und wundern werden wir uns ganz sicherlich im Nachhinein, dass wir so wenig Vertrauen hatten.
Es gibt so Geschichten im Neuen Testament, die Jesus erzählt, wo dann einer in den Himmel kommt, das heißt, in den Zustand, wo er alles klar sieht und sagt: Um Himmel willen, hätte ich doch dem mehr vertraut. ("Der reiche Mann und der arme Lazerus") Der reiche Mann sagt zu Gott: Lass mich doch noch einmal zurück auf die Erde, ich hab da noch ein paar Brüder, denen will ich Bescheid sagen; ich hab ja alles falsch gemacht! Aber Gott sagt: Sie haben die Propheten gehabt und sie haben’s von vielen Menschen gesagt bekommen, sie werden es auch nicht glauben, wenn da von den Toten einer zu ihnen zurückkäme.
Wir werden einmal zurückschauen und uns entsinnen an trübe Zeiten und da werden wir sagen: Warum haben wir nicht mehr vertraut? Warum haben wir so eng gesehen und immer gesagt: Diese Traurigkeit ist endgültig, das geht nie vorbei, der Tod ist das Letzte!
Wir werden es dann nicht fassen, dass alles Leid vorbei ist, dass es Hoffnung gibt, dass Gott seine Möglichkeiten an einem Menschen gezeigt hat, hin zur Hoffnung und zur Erlösung. Dass so ein Mensch wie Jesus Christus möglich war, dass er auferstanden ist, damit wir frei vom Tod werden.
Es wird einmal sein, dass Menschen wirklich wie Schwestern und Brüder miteinander leben. Und da wird es Türen ohne Schlösser geben. Da werden wir auch unsere Gefühle mitteilen können. Da werden wir auf den Straßen singen und lachen. Da wird nicht einer über den anderen herrschen wollen. Da werden alle Kinder geboren und geborgen aufwachsen, umgeben vom Glauben und von der Liebe ihrer Eltern. Da werden wir den Tod nicht fürchten und da wird keiner einsam sein. Ich stelle mir diesen Zustand so vor, dass wir dann auch gar keine Kirche mehr brauchen werden. Dann werden wir die Botschaft Christi in unseren Herzen tragen. Da wird das Heilige von dem Weltlichen gar nicht mehr getrennt sein, sondern ineinander gehen.
So wird es sein im Diesseits durch die, die nach uns kommen, oder im Jenseits - ich weiß es nicht; aber so wird es sein. Das ist das Einzige, was Bestand hat, was Gültigkeit haben wird, worauf die Schöpfung zuläuft.
Strahlend hell wird das sein. Und lachen werden wir. Und wenn wir weinen, dann vor Freude. Und wir werden über uns selbst den Kopf schütteln darüber, dass wir so dumm waren, so eng fixiert auf unsere Möglichkeiten.
Ich glaube, dass wir jetzt schon auf Christus hin viel mehr Dinge tun sollten, die in die neue Welt gehören. Dinge, die nach der alten Vorstellung wunderlich und verrückt erscheinen. Wir müssten mehr wagen auf diese Hoffnung hin. Christi Geburt liegt hinter uns. Christi Wiederkunft, Christi Gericht liegt vor uns, und dazwischen leben wir und haben noch Zeit.
Wir wissen doch, worauf es ankommt, was zählt, was kommen wird, was gilt. Und so reicht ja das Reich Gottes in unsere alte Zeit hinein.
Wir sollten IHM vertrauen und auf SEIN Wort hin leben und uns nicht so sehr sorgen.
Seid getrost, fürchtet euch nicht, Gott kommt, er wird euch helfen, sagt der Prophet.
Manchmal im Film sieht man den Helden in großer Bedrängnis; von Bösen verfolgt. Und dann hat er Angst. Dann denkt man: Jetzt sitzt er wirklich in der Falle! Und du siehst als Zuschauer, und du leidest mit. Aber du weißt; wenn er nur tapfer bleibt, irgendwie wird er gerettet und getröstet, und am Ende wird er siegen.
So ähnlich ist das mit unserem Leben. Trösten heißt ja, einen Menschen stark machen durch eine gute Nachricht. Oft sind wir in unserem Leben selbst beschämt worden. Wir haben uns manchmal so furchtbar gesorgt, und dann kam die Rettung von ganz woanders her und unsere Sorge war umsonst und wir sagen: Da hast du dich nun gesorgt und immer in eine Richtung geguckt, und immer wie das Kaninchen auf die Schlange gestarrt, und dann war die Lösung ganz anders, dann kam es viel besser heraus, als du befürchtet hattest.
Wir können allerdings nicht auf unseren eigenwilligen, selbstgemachten Wegen mit Gottes Trost rechnen. Aber wo wir diesem HERRN nachgehen und IHM folgen und vertrauen, da wird ER immer einen Weg finden, wo unser Fuß gehen kann. Und das wird der Heilige Weg sein, von dem der Prophet sagt, auf dem wir zu Gott finden - AMEN!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!