Predigt vom 21.09.1986 - Frau Wöhlbrand - Röm. 10, 9-17
Ich denke, dass der Predigttext doch schon wieder eine Zeit her ist durch den großen Hut und alles, was dazwischen war in der Taufe. Einige Dinge von diesem Predigttext aus dem Römerbrief möchte ich doch noch einmal nennen.
Paulus schreibt dort an seine Gemeinde in Rom: "Wenn du mit deinem Mund bekennst, dass Jesus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, dann wirst du gerettet werden. Denn wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht, und wenn man mit dem Mund bekennt, so wird man gerettet. Denn die Schrift sagt: "Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden." Hier gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen; alle haben denselben Herrn,der reich ist für alle, die ihn anrufen. Denn "wer den Namen des Herrn anrufen wird, soll gerettet werden." Wie sollen sie aber den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger? Wie sollen sie aber predigen, wenn sie nicht gesandt werden? Wie geschrieben steht: "Wie lieblich sind die Füße derer, die gute Botschaft verkündigen!" Aber nicht alle sind dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja sagt: "Herr, wer glaubt unserem Predigen?" So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort Christi." Amen!
Glauben kommt aus dem Predigen, Glaube kommt aus dem Hören, sagt Paulus.
Wie einfach - liebe Gemeinde - müsste dann doch unser Glaube sein. Nur hören auf das Wort Gottes. Richtig hinhören, versteht sich, dann dürfte auch der Glaube Siemeriet kein Problem mehr sein.
Und Gottes Wort ist ja nicht irgendwie weit weg von uns, fern, sondern es ist da, ganz nahe. Hier im Gottesdienst, heute wie jeden Sonntag. Oder in der Bibel, in der wir lesen. Oder wenn wir die Morgenandacht hören, oder den Rundfunkgottesdienst. Wenn wir Lieder singen und wenn wir unseren Glauben bekennen.
Das ist das Wort Gottes. Und wir brauchen nur zu hören, so sagt Paulus.
Aus dieser Botschaft, aus dem Hören der Botschaft, kommt der Glaube. So einfach ist das? Und warum haben dann so viele Menschen Schwierigkeiten mit dem Glauben? Oder haben sie vielleicht ein ganz anderes Problem? Vielleicht haben sie das Problem des Schlechthörens?
Vielleicht kennen sie diesen Schnack: "Schlecht hören kann ich gut!" Ich denke da so an ein Kind, das ganz versunken irgendwo draußen spielt, und die Mutter ruft: "Peter, komm rein!" Peter kommt aber nicht, er spielt weiter und tut so, als ob er nicht gehört hätte. Die Mutter ruft noch einmal: "Peter, reinkommen!" Das müssen die Mütter ja oft machen, zwei-‚ dreimal oder noch häufiger rufen. Und Peter kommt immer noch nicht. Er tut immer noch so, als hätte er nicht gehört. Und schließlich sagen die anderen Kinder zu ihm:
"Du, Peter, deine Mutter ruft dich." Da hebt er den Kopf und sagt: "Ja ich weiß, aber sie schreit noch nicht richtig." So einfach ist die Sache für ihn. Er hört wohl, aber seine Mutter schreit noch nicht laut genug, wie er sagt. Und so lange tut er eben, als hört er sie einfach nicht. Ich denke, am Rufen kann das eigentlich nicht liegen. Und bei dem Peter liegt das, glaube ich, auch gar nicht am Hören, sondern am Gehorchen. Oder sagen wir für das Wort Gehorchen lieber ein anderes Wort. Es liegt bei dem Peter, den die Bitter ruft, wie bei uns, wenn Gott zu uns spricht, es liegt m wer das Gehörte ernst nehmen. Ob wir es hören wollen als etwas, was uns wirklich betrifft. In der Technik des Überhörens, des Weghörens, sind ja auch wir Erwachsenen ganz gut geübt.
Der Eine überhört etwas, weil er es einfach nicht hören will, weil es ihm unangenehm ist, was er zu hören bekommt, weil er keine Lust hat, sich damit zu befassen. Und manchmal, muss ich gestehen, ist es auch Notwehr. Notwehr in einer Zeit, in der wir mit Informationen und Gerede nahezu überschüttet werden. Aber wie wählt denn nun der geplagte Mensch aus, was er hören will und was nicht? Ich denke, das geht uns allen so, was einen bestätigt, das hört man gern, was einen verunsichern könnte, das überhört man wieder. Man ist nämlich versucht, jetzt den Satz des Apostel Paulus einfach umzudrehen, nicht zu sagen; der Glaube kommt aus dem Hören, sondern; Hören kommt aus dem Glauben.
Wenn wir jemanden ernst nehmen, wenn wir ihm Vertrauen entgegenbringen, dann ist uns auch wichtig, was er sagt.
Das Überhören fängt da an, wo das Ernstnehmen aufhört.
So geht es jedem Wort. Und so geht es auch dem Wort Gottes. Weil es nicht nur ein befreiendes und ein rettendes Wort ist, sondern auch ein ärgerliches und manchmal auch anstößiges Wort, das abprallt an unserer Selbstgerechtigkeit, an uns Menschen, die sich doch lieber auf Sich selbst verlassen, die sich lieber selber retten wollen, Menschen also, die sich nicht öffnen wollen oder können für das Wort des Glaubens. Weil sie festhalten wollen, was ihnen wichtig und wertvoll und sicher erscheint. Ihre Weltanschauung, ihre Vorurteile, auch ihre Frömmigkeit.
Dieses Problem hatte auch Paulus mit seinem Volk aus dem er stammte. Dieses Problem beschäftigt ihn in fast allen Kapiteln des Römerbriefes. Und hierbei geht es ja nicht nur um eine ganz spezielle Thematik, Israel betreffend, sondern es geht um das Problem aller Menschen. Also auch um uns.
Dass Christus der Herr ist, dieser von Menschen ans Kreuz geschlagene Mensch. Dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, dass also die Erfahrung des Todes nun vor Gott eben nicht letztlich bindende Wirklichkeit ist, das ist das Wort des Glaubens.
Aber so ruft Paulus aus und fragt: "Wer glaubt unserem Predigen?"
Paulus weiß nämlich auch; dass die Wirkung seiner Verkündigung nicht allein in seiner Hand liegt. Er sieht eher, wie wir heute auch, er sieht, dass diese Verkündigung, sein Predigen also, bei vielen Menschen auch ohne Erfolg bleibt. Und dass nun gerade die Menschen seines Volkes, des Volkes Israel, diese Botschaft nicht hören wollen, das macht ihn besonders traurig. Und er ringt um eine Antwort, wie das wohl mit Gottes Willen zusammenzubringen ist. Er weiß, dass die Verkündigung nötig ist, die nämlich da aber auch an ihre Grenzen kommt, wo Menschen sie eben nicht ernst nehmen wollen. Das merkt Paulus ganz deutlich. Sein Predigen, sein Verkündigen, stößt da an Grenzen, wo Menschen seine Predigt nicht ernst nehmen. Aber er sieht auf der anderen Seite auch die Not der Menschen. Darum hört er nicht auf zu predigen. Und er weiß auch, dass letztlich alles auch abhängt von dem Erbarmen Gottes.
Wir haben ja auch Gottes Wort gehört. Und wir wissen auch um die Grenzen der Wirksamkeit des Wortes Gottes bei uns. Wir brauchen dazu gar nicht auf die Anderen zu sehen. Auch in uns selbst erfahren wir die Grenzen der Wirksamkeit des Wortes Gottes. Gott ruft uns, aber - vielleicht würden wir ähnlich sagen, wie der kleine Peter - er schreit noch nicht richtig.
Gott ruft uns, aber er schreit nicht. Er lässt uns die Freiheit, sein Wort ernst zu nehmen.
Glauben, das weiß auch Paulus, Glauben kann man nicht erzwingen. Und das kann man auch nicht demonstrieren. Aber man kann sich dahin führen lassen. Man kann sich auf seinen Glauben besinnen. Man kann sich seines, auch noch so zaghaften Glaubens, vergewissern.
Das wollen wir mal, angesichts unseres Textes, ein bisschen unter die Lupe nehmen. Paulus sagt; das Wort ist dir nahe. Er sagt nicht; du weißt davon, oder du fühlst dich ihm nahe. Er sagt; das Wort ist dir nahe. Auch wenn du es nicht weißt oder auch nicht fühlst. Aber nun lass es dir auch nahe kommen. Nimm nicht nur die Widerstände in dir wahr, nicht nur die Fremdheit, die du gegenüber diesem Wort fühlst. Das mag dich auch bewegen, das soll es auch. Aber ist da nicht auch etwas, was dich hinzieht zu dem Wort Gottes? Was dich mit ihm verbindet? Ganz zart vielleicht? Ganz wenig nur? Aber lass es nicht unter den Tisch fallen, nimm auch das in dir wahr, lass das nicht untergehen. Denn; "wenn man von Herzen glaubt, so wird man gerecht." Und mit diesem "Wenn" - wenn man von Herzen glaubt, mit diesem "Wenn" will Paulus nicht etwa eine unüberwindbare Mauer aufrichten, nicht eine Bedingung aufstellen, die doch niemand erfüllen kann, es sich auch gar nicht getraut erst damit anzufangen, sondern er will sagen; bei Gott hat auch derjenige eine Chance, der sich seines Glaubens nicht so gewiss ist. Ja, ist nicht gerade der selbstbewusst Glaubende in Gefahr, selbstgerecht zu werden? Und kann es nicht sein, dass er sich um so eher zu Gott flüchtet? Oder dass der sich eher zu Gott flüchtet, der sich auf die eigene Kraft, auch auf die Kraft seines Glaubens nicht mehr verlassen mag? Auch der kleinste und zarteste Glaube soll nicht im Herzen verschlossen bleiben, sagt Paulus. Denn; "wenn man mit dem Mund bekennt, wird man gerettet."
Nun fällt das ja, gerade das, vielen schwer, diese kleine, zarte Pflanze des Glaubens, die in einem wächst, nach außen vorzuzeigen. Das ist ja oft die Not derer, die das nicht können, aber auch die Not oft derer, die das bei anderen erleben, dass sie es tun. Aber wir müssen ja nicht ein persönlich formuliertes Bekenntnis ablegen. Gerade unser Glaubensbekenntnis, das wir in jedem Gottesdienst beten und sprechen, dies Glaubensbekenntnis schützt auch den empfindsamsten Glauben. Man kann ein gemeinsames Bekenntnis sprechen, und seinen eigenen kleinen, zaghaften Glauben damit einbeziehen. Man kann sich darin irgendwie wiederfinden, auch wenn man es mit eigenen Worten vielleicht nicht so sagen würde. Man kann sich gleichsam verbergen und doch zugleich mit hineinnehmen und sich selber mitmeinen.
"Wer an ihn glaubt, der wird nicht zuschanden werden", schreibt Paulus an die Römer. "Es ist kein Unterschied zwischen Juden und Griechen", sagt er. Für uns würde das heute vielleicht bedeuten; es ist kein Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen, zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Kein Unterschied zwischen uns und Asylanten. Kein Unterschied zwischen denen, die schon immer dabei waren bei der Gemeinde, und denen, die sich vielleicht noch etwas fremd in der Gemeinde fühlen. Kein Unterschied zwischen denen,die sich in Bibel und Gesangbuch gut auskennen, und denen, die es mit der Sprache der Bibel schwer haben; "denn es ist derselbe Herr, reich für alle, die ihn anrufen", sagt Paulus.
Ein Gott, den Parteien nicht gegeneinander ausspielen können, wenn sie gemeinsam losmarschieren. Ein Gott, der sich nicht zum Markenzeichen theologischer und kirchlicher Richtungen machen lässt, sondern ein Gott, der alle an seinem Reichtum teilhaben lässt, die zu ihm rufen, zu denen er spricht und die sein Wort ernst nehmen. Denn; "wer den Namen des Herrn anruft, der soll gerettet werden."
Der Eine, der sich in Gottes Nähe geborgen weiß, und seinem Herrn dafür dankt. Und der Andere, der sich ganz allein und einsam fühlt und nur schreien kann wie Jesus am Kreuz: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen".
Einer findet die Sprache zum eigenen Gebet und ein Anderer kann gerade ein Gebet mitsprechen oder auch nur mithören. Und ein Dritter bemerkt vielleicht in einem herausgerutschten "Herr Jesus!" oder "Mein Gott!" - wie oft sagen wir das am Tage - er bemerkt vielleicht bei diesem herausgerutschten "Herr Jesus!" oder "Mein Gott!", dass er in seinem Schreck über sich hinaus geraten ist.
"Wer den Namen des Herrn anruft, soll gerettet werden".
Liebe Gemeinde, wie dieser kleine Peter mit dem Wort seiner Mutter umgeht, das ist seine Sache und eine Sache für sich. Immerhin kann man ja für seinen Ungehorsam vielleicht Verständnis haben. Er hat noch keine Lust oder er testet die Grenzen seiner Freiheit. Vielleicht hat er aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Worte seiner Mutter gar nicht immer so ernst zu nehmen sind. Vielleicht war es gar nicht immer so dringlich, wenn sie ihn gerufen hat. Immerhin weiß er ganz sicher, wann es ernst wird.
Aber Gott schreit nicht, er ruft uns, sein Wort ist uns nahe, im Wort des Glaubens, im Wort der Bibel, die Menschen für Menschen geschrieben haben. Gott nimmt uns nicht die Freiheit unseres Handelns, nicht die Freiheit im Denken, sondern er will uns gerade erst die Freiheit schenken.
Wir sind Gott wichtig, und darum dürfen wir auch sein Wort wichtig und ernst nehmen.
Darum können wir Gott danken, dass er uns Ohren gegeben hat, die hören.
Und dafür können wir ihm danken, dass auch die leisen Töne seines Wortes im Lärm unserer Zeit nicht untergehen.
Gott schenke uns offene Ohren und offene Herzen, dass wir sein Wort vernehmen und ernst nehmen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn. AMEN!