Predigt vom 17.05.1987 - Pastor Schnabel - Kantate - 1. Samuel 16‚ 14-23
Die Gnade unseres Herrn Jesu Christ, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen AMEN!
Der Predigttext für den Sonntag Kantate steht im Alten Testament im ersten Buch Samuels, im 16. Kapitel:
"Der Geist des Herrn wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn ängstigte ihn. Da sprachen die Großen Sauls zu ihm: Siehe, ein böser Geist von Gott ängstigt dich. Unser Herr befehle nun seinen Knechten, die vor ihm stehen, dass sie einen Mann suchen der auf der Harfe gut spielen kann, damit er mit seiner Hand darauf spiele, wenn der böse Geist Gottes über dich kommt, und es besser mit dir werde. Da sprach Saul zu seinen Leuten: Seht euch um nach einem Mann, der des Saitenspiels kundig ist, und bringt ihn zu mir. Da antwortete einer der jungen Männer und sprach: Ich habe gesehen einen Sohn Isais, des Betlehemiters, der ist des Saitenspiels kundig, ein tapferer Mann und tüchtig zum Kampf, verständig in seinen Reden und schön gestaltet, und der Herr ist mir ihm. Da sandte Saul Boten zu Isai und ließ ihm sagen: Sende zu mir deinen Sohn David, der bei den Schafen ist. Da nahm Isai einen Esel und Brot und einen Schlauch Wein und ein Ziegenböcklein und sandte es Saul durch seinen Sohn David. So kam David zu Saul und diente vor ihm. Und Saul gewann ihn sehr lieb, und er wurde sein Waffenträger. Und Saul sandte zu Isai und ließ ihm sagen: Lass David mir dienen, denn er hat Gnade gefunden vor meinen Augen. Sooft nun der böse Geist von Gott über Saul kam, nahm David die Harfe und spielte darauf mit seiner Hand. So wurde Saul leichter, und es ward besser mit ihm, und der böse Geist wich von ihm."
Gott segne an uns dieses Wort!
Liebe Gemeinde! Das ist immer ein großes Thema für Maler und Bildhauer gewesen. Gestern war die "Bibelstunde" in der Stadtkirche in Celle, da waren auch zwei Bilder, die eben das zeigten: König Saul, man sieht, wie der böse Geist über ihn gekommen ist Er schaut trübsinnig vor sich hin, er ängstigt sich. Man sieht es an seiner Körperhaltung, an seinem Blick. Und daneben David mit der Harfe, der jüngste Sohn Isais.
Dieser Isai wurde früher auch Jesse genannt.In dem Lied: "Es ist ein Ros’ entsprungen, aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art". Das ist dieser Isai, von dem die Art kam. Denn Matthäus erzählt ja, dass Jesus vom Stamme David abstammte, deshalb mussten Josef und Maria nach Betlehem. Der Betlehemiter Isai hatte Söhne, und einer davon war der David.
Also, das Lied bezieht sich darauf, dass Jesus von David abstammte: "Es ist ein Ros’ entsprungen…". Dieser alte Jesse lebte in Betlehem. Und dort stammte David her.
Die Bibel erzählt, David sein bräunlich gewesen, mit schönen Augen und von guter Gestalt. David spielt und singt Lieder von Gotteserfahrungen. Und er kleidet diese Gotteserfahrungen in Bilder, die er aus seiner Umgebung kennt. Lieder vom Frühling, von der Sonne, von Gottes Güte und Trost. Auch Lieder von Schuld und Vergebung, vom finsteren Tal. Lieder vom geborgenen Leben, von Augenblicken im Leben, wo du auch den Tod nicht fürchtest, wo du eins bist mit Gott.
Diese Lieder stehen heute noch in der Bibel in den Psalmen, und sind mit einem Vorsatz vermerkt: Ein Psalm Davids, zu singen nach der Melodie - steht dabei - z.B. nach der Melodie des Liedes: "Früh wenn wir die Hirschkuh jagen" oder so. Da wusste damals jeder: Ach, das ist die Melodie - so wie wir hier sagen würden - "Auf auf zum fröhlichen Jagen…"
David singt und spielt für den König Saul, sooft der böse Geist über ihn kommt. Davids Lieder tun ihm gut. Sie vertreiben dem König die Angst.
"Und Saul gewann David lieb", heißt es in der Bibel. Aber wir wissen auch aus der Bibel, dass später diese Liebe in einen abgrundtiefen Hass umschlägt. Saul kann es nämlich später nicht ertragen, dass David große Taten in der Kraft Gottes vollbringt. Ihr erinnert euch: David und Goliath. David, das ist der Kleine mit der Steinschleuder, der den gepanzerten, großen Goliath bekämpft.
Es stellt sich heraus, dass die Liebe von dem König Saul zu seinem Sänger David doch mehr eine Abhängigkeit war, so ähnlich vielleicht wie zwischen einem Therapeuten und seinem Patienten. Denn gegen die Vorzüge eines anderen Menschen gibt es nur ein Mittel, und das ist die Liebe. Und die hatte Saul nicht. Die Vorzüge eines anderen Menschen, seine Begabungen, die ich mir vielleicht wünsche, die kann man nur ertragen und sich daran freuen, wenn man den anderen liebt, sonst wird immer Hass und Neid daraus; auch das kann man an dieser Geschichte ablesen.
Es gibt kein anderes Mittel gegen die Vorzüge eines anderen, als Liebe.
Nun, Saul - würden wir: heute sagen - leidet an Depressionen. In der Bibel steht; ein böser Geist kam über ihn, der ihn schwermütig machte.
Und die Ursache, wird in der Bibel erzählt; Saul ist Gott nicht gehorsam. Er ändert auch seinen Sinn nicht. Er tut nicht Buße, er fährt sich immer fester. Er flieht vor Gott, und geht ja dann später auch zur Hexe von Endor, die da über einer Erdspalte brütet und sich in Trance versetzt, und gegen Geld und gute Worte die Geister der Verstorbenen heraufbeschwört.
Saul befiehlt der Hexe von Endor, den verstorbenen Samuel, den Propheten des Herrn, heraufzubeschwören. Und tatsächlich erscheint auch der Geist Samuels und er sagt: Saul, warum lässt du mich nicht in Ruhe? Und Saul sagt: Ich bin in der Klemme, ich habe eine große Schlacht vor mir, ich habe Angst, dass ich sie verliere. Ist nun Gott mit mir oder nicht? Und da sagt ihm der Geist Samuels - so ähnlich wie bei Hamlet - noch heute wirst du bei mir sein! Das heißt: im Reiche der Toten. Und als Saul am nächsten Tag in der Schlacht unterliegt, sieht er keine Möglichkeit mehr, verzweifelt, stürzt sich in sein eigenes Schwert und begeht Selbstmord.
Das ist Sauls schreckliches Ende
Daraus müssen wir entnehmen, dass die Lieder Davids zwar seine Not gelindert haben, aber dass sie ihn nicht heilen konnten.
Ich glaube, es hätte mit Saul gut werden können, wenn Saul mitgesungen hätte. Aber Saul wollte nicht mitsingen. Er wollte im Grunde so weitermachen, wie bisher, und wollte durch die Lieder gestärkt werden. Es sollte sein Leid gelindert werden. Und er begreift nicht, dass sein Leiden ja eigentlich von Gott geschickt war, damit er umkehrt.
Ich glaube, es hätte gut werden können mit Saul, wenn Saul mitgesungen hätte.
"Wer singt, betet doppelt", haben wir vorhin in der Abkündigung von Herrn [Name] gehört. Das Wort von Augustin: "und doppelt betet, wer singt."
Das Selbersingen und das Mitsingen, das hätte sein Herz gelöst und bekehrt. Aber davon erzählt die Bibel nichts, davon gibt es auch kein Bild; dass Saul je mitgesungen hätte.
Ihr kennt ja selbst auch diese Schwelle, mitzusingen. Das ist um so schwerer, wenn man keine Lieder hat. Wenn man z.B. plötzlich am Sarg eines lieben Menschen sich wiederfindet, und nichts zu singen hat; kein Klagelied, kein Trostlied.
Ich habe das erlebt, wie plötzlich eine Familie stumm im Zimmer sitzt. Da ist ein Mensch tot, und keiner bringt ein Wort über die Lippen. Wie gut es ist, wenn dann jemand ein Lied anstimmt. Und wenn es ein Lied ist, das alle kennen und das unsere Traurigkeit wenigstens zum Klingen bringt. Gemeinsam zu Gott singen, das gibt Kraft und Trost, das ist wie gemeinsames Beten im Einklang.
Das Singen kann dich durch den Tag begleiten. Singe vor dich hin, eine Zeile oder einen Vers.
Lieder sind gesungene Gebete, die uns heilen und gut machen.
Merkwürdig ist ja, wenn uns etwas ganz hart bedrängt, dass wir dann wie von alleine anfangen zu singen; vor uns her. Manchmal merken wir es gar nicht, bis dich jemand anstößt: Du singst ja heute! Ich kann mich entsinnen, bei der Geburt meiner ältesten Tochter habe ich vor mich hingesungen, das hat mir ein anderer gesagt, das habe ich selbst gar nicht gemerkt.
David wird zum König gesandt, er bekommt Sauls Krone. Und David vollbringt große Taten. Aber es ist gar nicht so, dass er nun der Musterknabe wäre; er versündigt sich auch. Er nimmt seinem General Uria die Frau weg. Er bricht Gebote. Er lügt.
Er wird schwer bestraft. Und David leidet, und gerät in Not. Aber er zerbricht nicht, weil er singt sein Leben lang. Seine Lieder sind Gebete zu Gott. David scheut sich nie, zu singen und zu tanzen. Einmal, als die Bundeslade eingeholt wird, um im Tempel aufgestellt zu werden, da tanzt er vor der Bundeslade her und singt. Und seine heidnische Frau steht oben am Fenster und sieht es, und denkt: Mein Gott, ist das peinlich! Aber das macht ihm nichts aus. Er lobt Gott und dankt ihm, ohne Rücksicht auf Konventionen. Wenn es ihm gut geht, lobt er Gott: "Der Herr ist mein getreuer Hirte." Oder: "Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!" Das sind alles Lieder, die David gedichtet hat.
David schreit auch seine Verzweiflung heraus: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!" Auch dieses Klagelied ist von einem Psalm Davids.
Jesus kannte diese Lieder von klein auf, er hat sie in der Synagoge und zu Hause gehört. Und er hat diese Worte selbst am Kreuz gerufen.
Davids Leben ist ein Leben voll Gesang. Gesang, das sind nicht nur lustige Lieder, das sind auch Klagelieder. Auch die Lieder: "Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör’ mein Rufen". Oder: "Ob ich schon wanderte im finsteren Tal…"
Es sind jubelnde Lieder über Gottes schöne Welt. Der Psalm 8: "Lobe den Herren, mein Leben mein Ich…!" Wir haben Lieder daraus gemacht. Und Paul Gerhardt ist eigentlich - ist eigentlich der David der Lutherischen Kirche - Herr Podlinski.
Die Lieder sind seine Gebete, und damit bleibt David immer in Verbindung mit Gott, und darum nimmt es ein gutes Ende mit ihm. Das, was der David in seinem Leben getan hat an krummen und schlimmen Sachen, das hätte im Grunde gereicht für ein genauso böses Ende wie bei Saulus. Aber David konnte singen. Er blieb an Gott, und Gott blieb in ihm.
Das Singen Zu Gott ist wie ein Heilmittel für uns. So wichtig, dass eben schon die alten Kirche vor tausend Jahren jedes Jahr einen Sonntag danach benannte; Kantate, los singt. Singt doch, wenn euch danach zumute ist!
Singen geschieht mit und ohne Worte. Wie Singen entsteht, können wir bei unseren Kindern schon sehen, wir sind ja auch Kinder gewesen, und wir haben das ja auch mal gemacht. Und irgendwann wurde es uns ausgetrieben.
Vor einigen Tagen holte ich mein Fahrrad aus dem Schuppen, das war an einem Vormittag, so gegen elf an einem Werktag. Da hörte ich eine ganz laute Kinderstimme immer so: lala lalala lalala. Da ging ich vor an die Straße, und dort saß der kleine zweijährige Lars im Kinderwagen und wurde gefahren, und sang mit lauter Stimme. Und ich habe mich gewundert, wie aus einem so kleinen Menschen, eine so kräftige Stimme kommen kann. Seiner Melodie war anzuhören, dass in diesem Augenblick die Welt gut war.
Bei den Alten habe ich das wiedergefunden. Tante Lottchen, die in der Küche steht, und eine Rinderzunge in der Küche schneidet. Ohne zu wissen, was sie dabei singt, singt sie: "O dass ich tausend Zungen hätte…" Aber das kam von Herzen. Tante Lottchen kam aus Ostpreußen, hatte Flucht und Hunger erlebt, und es war wie so ein Lobgesang, diese Freude, jetzt vom langen Ende schneiden zu können.
Oder Bruder Alfred, der mir erzählte, wenn er allein ist, singt er vor sich hin oder spricht gedichtete Zeilen, und bringt: sich so in den Rhythmus hinein.
Das ist gut und heilsam. Mich wundert’s gar nicht, dass man diese Erfahrung jetzt auch auf eine Methode reduziert und eine Therapie draus gemacht hat. Eyrhythmie nennt man das. Eine ganze Richtung, die soll Leib und Seele zusammenbringen.
Wer einmal mit Lust in einem Chor gesungen hat, der hat erfahren, wie beschwingt man davon nach Hause geht. Und es freut mich auch, wenn die Konfirmanden manchmal nach dem Konfirmandenunterricht auf dem Heimweg die Melodien noch nachsingen, die wir geübt haben.
Wir sind Geschöpfe, und singen unserem Schöpfer mit Danken und Bitten und Klagen und Loben.
Vater Luther hatte immer seine Gitarre neben dem Schreibtisch stehen, und damit vertrieb er den Teufel. Nicht, dass er die Gitarre nahm und damit drohte, das machte er wohl nur mit Tintenfässern. Aber er sang. Und sang sich diesen Kram von der Seele, und bekam den Blick frei für das Heil, das uns allen bereitet ist.
Als in den fünfziger Jahren die ersten Kriegsgefangenen aus der Kriegsgefangenschaft kamen, sangen sie immer ein Lied, wenn sie auf dem Bahnhof ankamen in Deutschland. Männer, die für Jahre nicht gewusst haben, ob sie ihre Heimat je wiedersehen. Ich habe einen Film davon gesehen, wo diese Männer mit Tränen im Gesicht gesungen haben: "Nun danket alle Gott!" Und wie gut waren sie dran, dass sie das Lied gelernt hatten, denn sie hatten in diesem Augenblick tiefster Bewegtheit auch Worte, in die sich ihr Gefühl hinein ergießen konnte.
"Nun danket alle Gott!" Das hat mich gerührt. Wie diese Männer da dieses gemeinsame Dankgebet gesungen haben, und ich habe mich gefragt, ob sie heute noch singen? Oder ob ihr Danklied verstummt ist?
Unsere Lieder sind ein Schatz, dessen Wert wir noch gar nicht ermessen haben. Für unsere Eltern war das Gesangbuch immer gleich wichtig neben der Bibel.
Es betet sich leichter mit Liedern und bringt uns auf einerlei Sinn, durch die Liebe Gottes, die uns zum Singen bringt.
Denn wenn wir richtig singen, merken wir, dass das gar keine Mühe kostet, sondern dass es eigentlich Gottes Geist ist, der aus uns heraus singt, und in dem wir dann geborgen sind - AMEN!
Und die Liebe Gottes, die höher ist, als unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!