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Predigt vom 30.08.1987 - Pastor Schnabel - Mat. 21, 28-32

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen - AMEN!

Hört noch einmal den Predigttext, wie es geschrieben steht bei Matthäus im 21. Kapitel.

»Jesus sprach zu den Hohepriestern und den Ältesten des Volkes: "Was meint ihr? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sagte: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Er antwortete aber: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn, und er ging hin. Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: "Ja, Herr!" und ging nicht hin.

Wer von beiden hat des Vaters Willen getan? Sie antworteten: der erste. Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr. Denn Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht; aber die Zöllner und Hurer glaubten ihm. Und obwohl ihr’s saht, tatet ihr dennoch nicht Buße, sodass ihr ihm dann auch geglaubt hättet.«

Gott segne an uns dieses Wort!

Liebe Gemeinde!

Siegfried Lenz hat einmal eine Geschichte erzählt von einem Vater, der einen kleinen Sohn hat, der schon drei Jahre zur Schule geht.

Dieser Sohn ist ein besonders empfindsamer Junge. Immer, wenn der Sohn mittags aus der Schule kommt, dann ist er traurig. Und das hat folgenden Grund: Sein Schulweg führt zu einer Bahnschranke, und dort wartet der kleine Junge jeden Morgen bis der Zug vorbeikommt. Und er winkt dann immer den Reisenden zu, aber keiner winkt zurück.

Dem Vater geht das so nahe, dass er eines Tages beschließt, abends in den Nachbarort zu fahren, dort zu übernachten, den Morgenzug zu nehmen und am nächsten Tag an der Bahnschranke vorbeizufahren, wo sein Sohn stehen wird, und dem will er dann zuwinken; damit er sich einmal freut.

Eines Abends fährt er in den Nachbarort. Er geht ins Bahnhofshotel und will ein Zimmer mieten, aber alle Zimmer sind besetzt. Und der Nachtportier sagt ihm; nur in einem Doppelzimmer ist noch ein Bett frei. Der andere Mann liegt dort schon im Bett. Der Vater geht hinauf, öffnet leise das Zimmer und sucht den Lichtschalter. Da ertönt plötzlich eine energische Stimme: "Lassen sie das Licht aus! Ich sage ihnen, wo sie langgehen müssen. Und stolpern sie nicht über meine Krücken!" Der Vater gehorcht, kleidet sich aus und findet auch sein Bett. Und als er drin liegt, beginnt der Fremde ein Gespräch mit ihm. Fragt, weshalb er denn in diese Stadt gekommen sei. Und der Vater sagt: es ist ein merkwürdiger Grund, da würden sie nie drauf kommen. Und der Vater erzählt ihm von seinem Sohn, und dass er ihm am nächsten Morgen aus dem Zug zuwinken will.

Es ist eine Weile still, und dann sagt der Fremde aus seinem anderen Bett heraus: Sagen sie mal, schämen sie sich denn nicht, ihren Jungen zu betrügen? Wieso wollen sie ihn betrügen? Er soll erkennen, dass die Welt so ist. Da winkt eben keiner zurück; sie belügen ihn ja! Mich geht es ja nichts an, ich hasse Kinder ohnehin, ich weiche ihnen aus. Denn wenn man es genau nimmt; ihretwegen habe ich meine Frau verloren, sie starb bei der Geburt des ersten Kindes. Jedenfalls, sagt der Fremde, was sie vorhaben ist Betrug! Das sind die letzten Worte. Der Vater ärgert sich, aber er ist müde und schläft ein.

Als er am nächsten Morgen aufwacht und auf seine Uhr schaut, stellt er fest; er hat verschlafen. Er ist allein im Zimmer, der Zimmernachbar ist längst aufgestanden; der Morgenzug ist weg. Und so muss er mit dem Nachmittagszug zurück fahren und kommt niedergeschlagen zu Hause an. Da öffnet ihm sein Sohn die Tür, hängt sich überglücklich an seinen Hals, umarmt den Vater und sagt: Vater, heute hat einer ganz lange gewinkt. Er hatte eine Krücke, und zuletzt hat er sein Taschentuch an die Krücke gebunden und den Stock aus dem Fenster gehalten und so lange gewinkt, bis ich den Zug nicht mehr sehen konnte.

Dieser mürrische Mann, der zuerst "nein" sagt, hat dann das Gute getan. Erst hat er nein gesagt, und dann ist er zeitig aufgestanden um dem Jungen zuzuwinken! Und indem er es tut, ist es ja auch keine Lüge mehr!

Die zu Gottes Geboten erst mal nein sagen und es später bereuen und dann doch Gottes Willen tun, die haben meistens viel klarer erkannt, worum es eigentlich geht. Denn sie mogeln sich nicht an Gott vorbei, sie wissen genau, dass man sich vor Gott nicht verstecken kann.

Wer einmal in seinem Leben Gott nahe kommt und seinen Willen erkennt, der muss ganz zwangsläufig unruhig werden und sagen: Will ich das denn überhaupt? Der muss, wenn er’s tief genug bedenkt, der muss nein sagen. Der wird erst mal versuchen, vor Gott zu fliehen, denn er erkennt, dass er vor Gott gar nicht bestehen kann.

Wir Christen laufen zu oft mit einem schlechten Gewissen herum. Und ich meine, dass es daher kommt, dass wir zu schnell "Ja!" sagen. Und wir haben auch Angst voreinander, im Gespräch, wenn vom Glauben die Rede ist, zuzugeben, wie es wirklich um uns bestellt ist.

Wir sagen zu schnell "Ja!" zu Gott, und erst dann merken wir, dass wir es eigentlich gar nicht meinen. Wir getrauen uns auch nicht, voreinander zuzugeben, dass wir natürlich allzuoft Gottes Willen nicht tun wollen.

Ich kannte einen Mann in Amerika, wenn da der Kies vor seinen Haus knirschte und er hörte, dass der Pastor ihn besuchte - die Gemeinden sind da klein, und der Pastor schaute oft in die Häuser herein - dann holte der schnell seine Bibel vor aus dem Regal und legte sie auf den Tisch. Und dann klopfte es an der Tür. "Herein" sagte der Mann, und: "Ach, Herr Pastor, ich lese gerade in der Bibel." Er guckte da ’sonst nie rein.

Auch das ist so eine Form "Ja!" zu sagen; JA! Gott, Religion, christliches Abendland, alles in Ordnung, selbstverständlich. Aber es hat keine Konsequenzen.

Manchmal begegne ich raubeinigen Leuten - manchmal welchen, die sich Atheisten nennen - mit denen komme ich schnell ins Gespräch, weil die manchmal etwas klarer begriffen haben, weil’s denen eher unheimlich geworden ist.

Es wäre manchmal besser, wenn wir klar beten würden: Lieber Gott, in Jesus Christus hast du uns gezeigt, wie wir sein sollen. Aber ich will nicht deinen Willen tun, ich will eigentlich nicht, dass dein Wille geschehe. Sondern ich will, dass mein Wille geschehe. Ich will meine Ruhe haben und du sollst mir dabei helfen. Und ich will es mir mit meinen Vorurteilen und Ansichten gemütlich machen. Ich will deine Freiheit und dein Licht der Wahrheit, das will ich eigentlich nicht, das ist mir nämlich viel zu unheimlich. Ich will nicht sanftmütig sein, ich will nicht hungern und dürsten nach Gerechtigkeit. Ich will auch nicht geistlich arm sein, ich will der große Larry sein. Ich will den Gekreuzigten nicht als Herrn haben, so einen schwachen Herrn will ich nicht haben. Aber nachher, bei der Auferstehung, da möchte ich wieder dabei sein.

In einer Gemeinde besuchte ich mal einen alten Herrn zum Geburtstag, der kam aus dem Erzgebirge, er war dort früher Kirchenvorsteher gewesen, aber ich hatte ihn hier im Westen nie in der Kirche gesehen. Bei seinem hohen Geburtstag erzählte er mir, dass er ja so gern in die Kirche gehen würde, aber die Beine täten es nicht mehr. Und dann bot ich ihm an und sagte: Ich kann sie ja abholen. Aber er sagte, auch die Treppen käme er nicht mehr runter. Und zu jeder Lösung fand er ein neues Problem.

Das war an einem Dienstag. Wenige Tage später, am Sonnabend, war Feuerwehrball, und da traf ich ihn wieder. Und da tanzte er einen Foxtrott.

Ich habe damals lange überlegt, soll ich ihn denn nun beim Wort nehmen, oder soll ich es ihm durchgehen lassen. Aber ich meinte dann, dass ich es ihm schuldig bin, ihn als sein Pastor daraufhin anzusprechen. Ich habe ihn besucht und habe ihn gefragt: Warum sagen sie eigentlich nicht klar: Nein, ich will nicht zur Kirche gehen. Dann ist das wahrhaftig, dann wissen wir, woran wir sind, dann können wir weitermachen. Aber warum mogeln sie sich da so vorbei?

Ich brauchte lange, bis ich ihm zur Wahrheit verhelfen konnte, bis das endlich raus war; sein klares "Nein!" zu Gott.

Und das war der Durchbruch. Denn nachdem er dieses klare Nein gesagt hatte, da öffneten sich die Schleusen seines Herzens. Wie aus einer lange verschlossenen Rumpelkammer fielen uns plötzlich Geschichten von Schuld und Bitterkeit und Leid und Hader und Zweifel entgegen. Und als er alles raus hatte, als sein klares Nein zu Gott gesprochen war, da war sein Herz leer, da war die Luft rein, da konnte man sagen; so ist es bestellt um mich, dann konnten wir beten. Und dann gab es einen neuen Anfang.

Nun gibt es soetwas selten, aber ich kann diese Geschichte als authentisch bezeugen.

Wenn ich mich selbst darin erkannt habe, dass ich eigentlich nein zu Gott sage, dann habe ich Wahrhaftigkeit gewonnen. Erst danach kommt nämlich die Gnade.Erst dann erkenne ich nämlich, obwohl ich nein sage, obwohl ich geistlich arm bin, merk&ich plötzlich, dass Gott mich trotzdem festhält. Dass er mich an die Hand nimmt wie ein lieber Vater sein quengeliges, garstiges Kind, das immer sagt: "nein, ich will nicht!"

Dann erkenne ich nämlich, dass Gott mich annimmt nicht, weil ich fromme Gesten mache, oder weil ich ihm ins Gesicht Ja sage, und es eigentlich doch nicht meine, sondern ich erkenne, er nimmt mich an, weil er mich liebt.

Du sagst mit deinem Leben Nein zu Gott, und trotzdem lässt er dich nicht fallen, weil er dich liebt, wie der Vater den verlorenen Sohn oder die verlorene Tochter.

Gottes Liebe begreifen wir erst, wenn wir bekennen, dass wir mit unserem Leben weitgehend Nein zu Gott sagen, und trotzdem geliebt werden, und trotzdem Gottes Kinder sind.

Und nun könnte man sagen: Aha, hier ist die Gemeinde, die Menschen, die Nein zu Gott sagen. Und dort ist Gott, er liebt sie, und das ist nun der Zustand und es passiert gar nichts. Aber das ist ein Irrtum. Es passiert eben gerade in dem Augenblick eine Verwandlung und etwas Neues. In dem Augenblick, wo wir erkennen, wie es um uns bestellt ist, erkennen wir überhaupt erst die Liebe Gottes.

Dass wir Neinsager trotzdem geliebte Kinder sind, das erwärmt unsere Herzen.

Aus dieser erfahrenen Liebe ergibt es sich dann wie von selbst, dass wir Neinsager plötzlich zu etwas Gutem fähig werden.

Und das Gute, das wir dann aus der Wärme Seiner Liebe heraus tun, das ist nicht mehr die gequälte Pflicht, sondern das kommt heiter und gelassen aus einem Guss vom Innersten des Herzens als etwas, was Dankbarkeit, was die Antwort auf Gottes Liebe ist.

Wer vor Gott bekennt, dass er in seinem Leben den Willen Gottes nicht tut, der hat schon eine Kehrtwendung zu Gott gemacht. Der kann sich nicht mehr rühmen, der kann nicht mehr angeben, der wird auch nicht irgendwelche Frömmigkeit markieren.

Der ist mit dem ersten Schritt schon zu Gott unterwegs - AMEN!

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle unsere menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christu Jesu - AMEN!